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Selbstportrait mit Taube

Erzählungen

Autoren: Katharina Riese
Verlag: Turia & Kant, Wien, 1995
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

Ich drapierte den Mantel in die Schlafmulde, als würde ich noch weiterschlafen. Aus der Waschküche neben der Holzlade kam der Geruch von Dampf und Seife. Eine Frau sang. Ich kannte diese Stimme. Es war Kati, Gottes Haushälterin, meine einzige Verbündete. Ich wollte sie jedoch nicht mit meiner Anwesenheit in Schwierigkeiten bringen. Meine Chance, mich zuerst umzusehen, bevor ich gesehen wurde, war nicht groß. Es herrschte voller Betreib. Vom Haus her hörte ich Lachen, Schritte, lautes Sprechen, das Volltönen von Würdenträgern und Wichtigmachern aller Art. Ich befand mich schon im unmittelbaren Sog der Macht. In der Portierloge saß niemand. Ich ging die Stiege hinauf, die mit Bittstellern locker besetzt war, und ging bis zum Dachboden weiter. Über eine Holzleiter stieg ich in den Dachstuhl hinauf. Zwischen den Balken waren Netze gespannt. Besoffen vor Heimweh sprang ich in ein Netz hinein. Es hielt. Hier oben unter dem Dach im Netz schaukelnd nagte ich an meinen Fingernägeln. Hier in diesem Haus war ich zu Hause gewesen. Ich hatte hieher gefunden, nicht weil hier Gott wohnte, sondern weil ich hier zu Hause gewesen war, auch wenn ich mich an nichts erinnern konnte. Die Vorgeschichte? Die Geschichte vor der Vorgeschichte? Hatte mir Großer Gott nicht nur meine Erinnerung, sondern auch mein Zuhause gestohlen? Was konnte ich von ihm erwarten? Personal mit Schürzchen und Häubchen stieg die Dachbodentreppe herauf. Die Frauen schleppten einen Wäschekorb herauf und hängten Leintücker zum Trocknen auf. Eigenartig,dachte ich, warum nur Leintücher? Angestrengt sah ich hinunter. Standen da nicht auch Kübel mit blutigen Spitzen?

/ 1995

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