Eine ungewöhnliche Stille liegt über mir. Ich werde die ganze Nacht wach bleiben. Es ist beunruhigend. Worauf denn warten. Die letzten Tage sind einfach nicht vergangen, ich bin ihnen gefolgt, und jetzt stecken sie fest und schleifen sich ein, legen sich über diese eine Nacht. Kein Traum bleibt mir. Joel fehlt mir, mein kubanischer Freund, wir haben viele Nächte im Hotel Deauville in Havanna verbracht vor vielen Jahren. Wir trafen einander im Mai, nichts Außergewöhnliches, ich fahre mit dem Aufzug in die Hotelbar, um zu schreiben, Joel steigt ein, und wir kommen ins Gespräch. Er ist Arzt und wohnt in der Nähe, sein Bruder arbeitet im Hotel, und deshalb benützt er den Pool auf der Terasse im obersten Stock, um zu schwimmen. Ich setze mich an die Bar, von dort aus sieht man Havanna, wie es untergeht mit der Sonne. Von da an fällt mir nichts mehr ein als Joel, Joel wie er schwimmt, Joel wie er sich an den Rand des Pools setzt und abtrocknet, hinter seinem dunkel gelockten Haar das Handtuch im Nacken, er raucht eine Zigarette, seine Füße pendeln im Wasser. Genau hier, an dieser Stelle, lächeln wir uns an. Joel ist schön, er ist so schön, daß ich nichts anderes mehr tun kann als ihn unentwegt anzusehen. Natürlich tue ich so, als würde ich scheiben, und Joel weiß es. Von da an sind wir zusammen. Eine einfache Geschichte, so einfach, daß wir das Hotelzimmer kaum mehr verlassen. Ich habe auf meiner Reise nach Kuba nicht mehr gesehen als das kühle Zimmer im Hotel Deauville mit dem steinernen Boden und Joel. Das war für mich die ganze Welt. Keine Tage und Nächte, nur Lichter, die sich in der verglasten Front, die zum Meer ging, abwechselten. Manchmal haben wir uns darin gespiegelt, und ich weiß jetzt, daß es genau dieser Moment ist, dieses Bild von Joel und mir, das ich vermisse. Heute noch schreiben wir uns gelegentlich, die Briefe sind recht heftig, obwohl wir uns nur Grüße schicken aus der Ferne.
/ 2002