Ein Schriftsteller, dem lange nichts mehr eingefallen war, ging durch die winterlich kalte Stadt. Eine fremdländisch aussehende Frau zog ein Kind hinter sich her und hielt ihm bittend die Hand entgegen.
Der Schriftsteller griff in die Tasche und gab ihr ein Geldstück.
In einer Hauseinfahrt saß ein einbeiniger Mann, in der Hand ein Stück Pappe, auf dem in großen Buchstaben etwas geschrieben stand. Der Mann sei arbeitslos, habe keine Wohnung und kein Geld, las der Schriftsteller, griff wieder in die Tasche und legte eine Münze in den auf dem Boden liegenden Karton.
In der Unterführung zur U-Bahn-Station hockten zwei ungenügend bekleidete junge Leute, ihr verschleierter Blick ließ darauf schließen, daß sie unter dem Einfluß von Drogen standen. Er stieg über ihre Beine hinweg und ging weiter, an einem Obdachlosen vorbei, der sich vor der Kälte in einen Winkel geflüchtet hatte. Er empfand Mitleid mit dem Obdachlosen und mit den beiden jungen Leuten, fühlte mit tiefem Bedauern, daß er ihnen nicht helfen konnt, beschleunigte seine Schritte und bestieg einen Zug. Während der Fahrt wurde ihm wieder bewußt, daß er längst mit der Arbeit an einem neuen Buch hätte beginnen müssen, daß ihm aber nichts eingefallen war, worüber es sich zu schreiben gelohnt hätte.
Es gibt einfach keine Themen mehr, dachte der Schriftsteller resigniert, er hatte nicht bemerkt, daß er auf seinem Weg an mehreren sehr aktuellen Themen vorbeigekommen war.
Er lehnte sich auf seinem Sitz zurück, schloß die Augen und fühlte, wie ihn, wie schon oft in den vergangenen Wochen, eine tiefe Depression überkam.
/ 2002