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Schnaitheim, Sommerheimat

Autoren: Ruth Aspöck
Verlag: Edition die Donau hinunter, Wien und St. Peter am Wimberg, 2000
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

Winter. Linz

Winter war Linz, genauer: die Altstadt von Linz, die Hofgasse, der Tummelplatz, das verfallende Schloss, der Römerberg. Überwachsene Ruinen waren meine Spielstätten. Auch im Sommer blieben die Granitmauern unserer Wohnung kühl, ebenso die schattenreichen Lichthöfe zwischen den eng gebauten Häusern der Altstadt. Es gab keinen grünen Garten, kein Spalierobst an der Hausmauer, kein Sonnenlicht wie in Salzburg, keinen Gemüsegarten wie bei der Oma in Schnoida. Schwere Eisentüren trennten die Wohnung in der Rathausgasse vom Stiegenhaus. Eine Zeitlang war hier ein Tuchlager gewesen. Bereits am frühen abend war es im geräumigen Vorzimmer, das durch die Fenster eines atriumartigen Lichthofes beleuchtet wurde, dunkel. Meine Schwester und ich waren viel auf der Straße, aber wir waren keine Straßenkinder. Dafür war in der Linzer Altstadt zu wenig los, zu viel Militär, zu wenige Autos. Die Radfahrer verursachen wohl manchmal Unfälle, selten jedoch sehr schwere. Arbeitsunfälle gab es immer wieder, auch Tote in den Fabriken und bei den Baustellen. Vielleicht hatte man deswegen das Unfallkrankenhaus in der Blumau so schnell gebaut. Es gab auch verletzte und tote Kinder, weil sie am Stadtrand in und an den Bombentrichtern spielten. Dabei gingen immer wieder übersehene Blindgänger los. Die Höhepunkte meines frühen Linzer Lebens waren die Höhepunkte der ganzen Stadt. Ich war vier, als der zweite Guss der riesigen Pummerin in der Glockengießerei von St. Florian gelang. Die neue große Glocke sollte genauso schön klingen wie die alte, beim Brand der Wiener Stephanskirche zu Ende des Krieges geborstene. Ich war fünf Jahre alt und stand dabei, als im April 1952 die neue Pummerin auf einem festlich geschmückten Lastwagen auf der Linzer Promenade vor dem Landhaus mit Blasmusikkapelle und Ansprache feierlich als Geschenk des Landes Oberösterreich nach Wien verabschiedet wurde. Als ich sechs war, gab man die Nibelungenbrücke, die Linz und Urfahr verbinden sollte und nun schon jahrelang trennend war, frei. Die Brücke wurde ab Juni 1953 von den Alliierten nicht mehr bewacht, die russische Kontrolle wurde eingestellt. Ein Kinobesuch war etwas für Weihnachten. Allerdings schickte uns die Mutter ins Amerikahaus auf der Landstraße. Kinder konnten sich in dem nach der neuesten Mode 'amerikanisch' eingerichteten Leseraum Bücher und kurze Zeichentrickfilme ansehen, ohne dafür zahlen zu müssen.

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