Der Winter
I:
Weißt du noch? Das letzte Stück des Weges windet sich aus den Erinnerungen heraus,
immer mehr Vergangenes schiebt sich über immer weniger Gegenwärtiges. Weißt du
noch? Das Ende des Weges bleibt bis zuletzt verborgen, gnädig, bis zuletzt findet sich eine
Hoffnung, die uns zur nächsten Biegung trägt. Vielleicht führt der Weg, dort vorne, ja
doch noch irgendwohin. Die vielen Gabelungen, an denen es so viele Möglichkeiten gab
zu wählen, sie werden spärlich. Bald begegnen sie uns gar nicht mehr. Das letzte Stück des
Weges ist kreuzungsfrei. Es führt geradewegs in den Tod, früher oder später, und das
wollen wir auf keinen Fall aussprechen, also erinnern wir uns an noch so eine schöne alte
Geschichte, weißt du noch? und erzählen noch so eine schöne alte Erinnerung. Das letzte
Stückchen Weg, genau betrachtet, führt nicht vorwärts und nicht zurück: Es windet sich in
uns hinein, wehmütig, wenn wir Glück haben: wehmütig heiter.
II:
Schon wieder Kälte, beißende Kälte im Gegensatz zum Feuer, in dessen Nähe unsere
Gliedmaßen, von der Kälte ertaubt, schmerzhaft kribbelnd zu neuem Leben erwachen.
Selten und immer seltener reizen wir unsere Sinnezum äußersten. Eiszapfen in den Händen,
Flocken im Gesicht, gefrierendes Knirschen unter den Stiefeln? Offenes Feuer, jähe
Hitze, Rauch, Knistern von Holz, das sich wehrt, zu Asche zu verbrennen? Waten in eiskaltem
Gebirgsflusswasser, bis es wehtut? Durch einen finsteren eiskalten Keller auf steinernem
Boden in eine Waschküche tappen, wo im grünen, brennheißen Badeofen Wasser
für ein dampfendes Bad siedet? Lieber lassen wir unsere Sinne in gemäßigte Zonen flüchten
und meiden alles, was dies- oder jenseits des wohligen Mittelmaßes liegt. Die schroffen
Gegensätze: im wirklichen Leben abgeschafft. Die halten wir nicht aus. Statt dessen –
streng kontrolliertes So-tun-als-ob, genannt: Wellness.
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