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Minister Scheinberger

Autoren: Heinrich Schaur
Linz, 2002
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

„Warum konnte dieser Wahnsinn nicht an mir vorübergehen? Warum nur! Warum mußte alles so kommen, wie es letztlich kam!“, das sind die Fragen gewesen, von denen Dr. Scheinberger auf entsetzliche Weise gequält wurde. Alles hat er sich vorstellen können. Mit vielem hat er gerechnet. Aber so eine Geschichte! Dies mußte den fleißigen Minister Dr. Scheinberger, der auch vom gegnerischen politischen Lager ob seiner fachlichen Qualifikation hoch geschätzt und immer als „die Stütze und das Rückgrat der Regierung“ bezeichnet wurde, in eine große innere Krise stürzen. Es ist ein Montag und noch dazu der erste Arbeitstag nach einem längeren Urlaub gewesen, als eine böse Welle der Bedrohung auf das bis dahin ruhig, geordnet und sehr erfolgreich verlaufende Leben von Dr. Scheinberger zuzurollen begann. Unmittelbarer Auslöser der Tragödie, die in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten auf immer rücksichtslosere Weise von seinem Leben Besitz ergriff, war ein Anruf: Es ist sein Hausarzt gewesen, der Dr. Scheinberger in seinem Ministerbüro anrief, ihn sogar aus einer wichtigen Ministersitzung herausholen ließ, um ihm mitzuteilen, daß die letzte routinemäßige durchgeführte Gesundenuntersuchung einen Befund ergab, welchen es zu besprechen gelte. Und wegen dieser Andeutung seines Arztes, daß mit seinem Befund irgend etwas nicht in Ordnung sei, war es auch schon mit Dr. Scheinberger geschehen. Augenblicklich vergaß er, soeben noch in einer Ministersitzung gewesen zu sein. Halbohnmächtig und mit zittrigen Händen fragte er seinen Arzt: „Sagen Sie, was es ist. Sagen Sie, was es ist. Ist es Krebs. Ja. Ist es Krebs?“ Und als sein Arzt sich weigerte, am Telefon nähere Auskünfte zu geben und sagte, daß er den Befund lieber mit ihm persönlich besprechen würde, war für Dr. Scheinberger klar, daß irgend eine furchtbare gesundheitliche Katastrophe über sein Leben hereinbrechen werde oder bereits hereingebrochen ist. Es müsse eine Todeskrankheit sein, dachte Dr. Scheinberger augenblicklich. Es müsse eine Todeskrankheit sein. Wahrscheinlich Krebs. Oder eine sonstige, jedenfalls tödlich verlaufende Krankheit. Ohne die beruhigenden Worte seines Arztes zu hören, daß er sich überhaupt keine Sorgen zu machen brauche und es absolut nichts Bedrohliches und Gefährliches sei, stand für Dr. Scheinberger zweifelsfrei fest, daß die Weigerung des Arztes, am Telefon zu sagen, um welch eine Krankheit es sich handle, nur bedeuten könne, daß er an einer Todeskrankheit leide und sterben werde. Und da Dr. Scheinberger immer alles ganz genau wissen will und ihn nichts mehr quält als Ungewißheit, stürzte er ohne Sakko und ohne seinen Kollegen Bescheid zu sagen aus dem Ministerbüro, nahm sich ein Taxi und fuhr zu seinem Arzt. Auge in Auge seinem Arzt gegenübersitzend, bestand Dr. Scheinberger darauf, sofort ganz genau zu erfahren, wie es um seine Gesundheit stehe. Als der Arzt zuerst ausweichen und Dr. Scheinberger beruhigen wollte, begann dieser, sehr unhöflich und beinahe aggressiv zu werden und laut zu sagen, daß er sofort wissen wolle, was mit dem Befund los sei. Dann sagte der Arzt zu ihm: „Herr Dr. Scheinberger. Sie kamen unmittelbar nach Ihrem Urlaub zu mir, um die routinemäßige Gesundenuntersuchung durchführen zu lassen. Während der Untersuchung haben Sie, wie ich mich erinnere, davon gesprochen, daß Sie in der Leistengegend und im Unterleib ein leichtes Jucken verspüren und sie vermuten, daß der Pilz, an dem sie seit vielen Jahren chronisch leiden, wieder akut geworden sei. Nun. Herr Dr. Scheinberger. Nun ist es aber so, daß Sie an keinem Pilz leiden. Es ist kein harmloser Pilz, Herr Dr. Scheinberger. Leider. Ich muß Ihnen das sagen.“ Daraufhin fuhr Dr. Scheinberger, nun bereits tatsächlich aggressiv, dazwischen: „Reden Sie nicht herum, ich bitte sie. Sagen sie endlich, was es ist. Ist es Hautkrebs. Ja. Ein Melanom. Ein bösartiges, ja? Wieviele Monate habe ich noch?“ „Aber ich bitte Sie, Herr Dr. Scheinberger“, sagte der Arzt beruhigend. „Es ist nicht immer gleich Krebs. Nein. Ich kann Ihnen versichern. Sie haben keinen Krebs. Es ist nur so, wie soll ich Ihnen das sagen, ich weiß ja nicht, was sie in Ihrem Urlaub gemacht haben. Sind sie alleine auf Urlaub gewesen? War Ihre Frau nicht mit?“ „Ich war mit Freunden in Südamerika. In Brasilien. 3 wunderbare Wochen lang. Es ist wirklich eine sehr schöne Zeit gewesen, das muß ich sagen. Wir haben uns alle sehr gut erholt. Und meine Frau. Nein. Meine Frau war nicht mit. Sie wollte diesmal mit den Kindern zu Hause bleiben. Ich solle mich einmal ohne Kinder von den nervenaufreibenden Regierungsgeschäften erholen, meinte sie.“ „Nun, Herr Dr. Scheinberger. Verehrter Minister“, sagte der Arzt“, „es steht mir nicht zu, Vermutungen anzustellen. Es ist nur so, daß die Diagnose eindeutig ist und sich nun die Frage stellt.“ „Was ist es denn, jetzt quälen Sie mich nicht so“, rief Dr. Scheinberger entnervt aus, woraufhin der Arzt endlich sagte: „Herr Dr. Scheinberger. Geschätzter Minister. Sie können sicher sein, daß das, was ich Ihnen jetzt sage, diese 4 Wände nicht verlassen wird. Sie können mir vertrauen. Es tut mir auch leid, aber ich muß es ihnen sagen. Herr Minister Scheinberger, sie haben eine Geschlechtskrankheit. sie haben einen Tripper. Und die Frage ist nun“, doch da fiel Dr. Scheinberger seinem Arzt ins Wort: „Sprechen sie nicht weiter. Ich bitte sie. Sagen sie nichts mehr. Tripper also. Ich. Ein Minister. Ein Mitglied der Regierung. Ein Ehemann. Und Tripper. Das ist eine Tragödie.“

/ 2002

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Linz, 2002
Veröffentlichungstyp: Buch

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