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Lena - Unser Dorf und der Krieg

Autoren: Käthe Recheis
Verlag: Herder Verlag, Wien, Freiburg, Basel, 1987
Gattung: Kinder- und Jugendliteratur | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

Was die Narren und Spinner betraf, so hatte Manfred die Wahrheit gesagt; mit ihnen wurde jetzt aufgeräumt in unserem Land. In einer der Nachbargemeinden stand ein Schloß, das Hartheim hieß. Dorthin brachte man die Geisteskranken, die Schwachsinnigen und Idioten. Sie blieben nie lange. Sie erkrankten an Lungenentzüdnung - hieß es - , starben und wurden im Schloß eingeäschert. Von unserem Dorf aus brauchten wir nur über zwei langgezogene Hügelrücken zu fahren, um unten im ebenen Schwemmland der Donau das Schloß liegen zu sehen. Manchmal quollen aus dem Kamin dicke, schwarze Rauchwolken. Sah es zufällig einer aus dem Dorf, dann sagte er, sobald er daheim war: "Jetzt verbrennen sie wieder die armen Narren dort." Als die Knospen an den Bäumen aufsprangen und die Narzissen auf den Wiesen blühten, wanderte Bernies Vater fort. Er hatte es niemandem gesagt, eines Morgens war er nicht mehr da. Wir warteten auf ihn, hofften, daß er bald wieder heimkommen würde. Er kam weder am nächsten Tag noch an einem der Tage danach. Er kam nie wieder. Wann sie ihn nach Schloß Hartheim gebracht hatten, erfuhren wir nicht. Wir wußten nicht, ob sie ihn schon in der ersten Nacht aufgegriffen hatten, oder ob er - wie die Vögel im Herbst, die fortfliegen mußten, weil sie nicht anders konnten - weitergewandert war, immer weiter, weil auch er nicht anders konnte. Wir erfuhren erst, was geschehen war, als aus Schloß Hartheim ein Brief kam, in dem stand, daß der Vagabund Michel Mur ins Schloß eingeliefert worden war und an Lugenentzündung gestorben sei.

Auszug aus dem Kapitel "Das Narrenschloss" /

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