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Lauras Sprache

Autoren: Gerlinde Bäck-Moder
Linz, 2003
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Literaturnetz

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Textproben:

Laura sitzt wie verloren auf dem großen Bett, die Arme fest um die mageren Knie geschlungen, als würde sie Halt suchen an sich selbst. Die schmalen Schultern des kleinen Mädchens sind gebeugt wie unter einer schweren Last. Laura schweigt. Ihre Sprache ist nur mehr die Sprache der Augen - groß, dunkel, ängstlich und schmerzvoll. Ihre Sprache ist auch die ihres Körpers - wenn sie sich so klein wie möglich macht, versucht sich so zu ducken, dass sie nur ja nicht auffällt. Ihre Schultern sind hochgezogen, ihre Haltung wirkt steif. Ihre Sprache ist auch die ihrer Hände - wie sie ihre mageren Finger ineinander verknotet oder sie tief in den Taschen ihrer Kleidung zu festen Fäusten ballt - wie im Zorn gegen jemanden, der ihren Zorn nicht sehen darf. Laura hat Angst vor der gesprochenen Sprache. Die Laute, die sie hört, bedeuten immer etwas anderes, als sie zuerst verstanden hat. Sie hört deren Inhalt, versteht endlich die Botschaft - und verschließt sich. Sie hört die verschiedensten Stimmen - da sind freundliche, helle Kinderstimmen; die sind ungefährlich, da kann sie aufschauen und unbeschwert zuhören. Da war früher auch die Stimme der Mutter, eine freundliche Stimme, die manchmal so traurig klang. Laura hat sie schon beinahe vergessen. Da sind aber auch laute, ernste, manchmal strenge Erwachsenenstimmen, fordernd, befehlend. Diese Stimmen scheuchen sie schnell in ihr Schneckenhaus zurück, lassen sie vollends verstummen und können ihr auch kein Lächeln mehr entlocken. Sie hat Angst vor diesen Stimmen, weil sie weiß, dass sie ihren Forderungen nicht entspricht. Ein kleines Mädchen, das immer nur schweigt, macht seinen Lehrern und vor allem dem Vater keine Freude. Sie sorgen sich und werden das Kind, wenn es weiter schweigt, schließlich ins Krankenhaus bringen müssen. Und da gibt es manchmal noch eine Stimme, eine sehr leise, flüsternde, gelegentlich merkwürdig heisere Stimme, die freundliche Worte sagt, nur freundliche: meine Liebe, meine Prinzessin, du meine Einzige, komm her, komm zu mir, ich liebe dich. Diese Stimme fürchtet Laura am meisten. Denn diese Worte versteht sie ganz anders. Sie weiß, dass nach der Stimme mit den freundlichen Worten etwas kommt, das sie gar nicht mag. So verschließt sie sich auch vor diesen Worten, die ihr doch manchmal so gut tun würden, nach denen sie sich so sehr sehnt. Sie sperrt diese Worte aus ihrem Innersten, genau so, wie sie sich dann vor allem Folgenden verschließt, wie sie unter dem keuchenden Atem verstummt, wie sie sich unter den fordernden Berührungen zurückzieht, wie sie unter dem schweren Körper stirbt. Jedes Mal ein bisschen mehr. Und wenn alles vorüber ist, wenn die sanfte Stimme wieder nicht gehalten hat, was Laura eigentlich erwartete, dann verstummt sie. Sie sieht den mit der weichen Stimme an, aber das Klagen, der Schmerz in ihren Augen verhallen ungehört. Und es gibt niemanden, der Lauras Sprache versteht. Niemanden, der ihre nicht gesprochenen Worte hören kann, niemanden, der ihren Zustand bemerkt. Da ist keiner, der hilft. Keiner, der dem allen ein Ende macht. Keiner, dem überhaupt etwas auffällt, außer, dass Laura nicht mehr spricht. Sie ist jetzt hier, in diesem Haus, in diesem Zimmer, in diesem Bett, weil man Angst hat, dass mit ihrem Gehirn etwas nicht in Ordnung sein könnte. Sie wird getestet und untersucht, befragt und durchleuchtet, aber man wird keinen Schaden in ihrem Kopf finden. Ihr Kopf ist völlig in Ordnung. An ihre Seele aber denkt keiner. Wie sollte sie sich auch mitteilen? Wer würde sie verstehen? Wer würde ihr glauben? Wie könnte sie den verraten, der sie doch so liebt? Lauras Sprache ist weit verbreitet. Viele Lauras scheitern an derselben stummen Sprache, ersticken fast an denselben nicht gesagten Worten, schreien wortlos und lautlos um eine Hilfe, die niemals kommt. Da ist keiner, der in Lauras Augen sieht. Die Sprache der Augen zu verstehen setzt zu viel voraus: Hellhörigkeit, Gefühl, Zeit. Laura hat doch alles, sagen sie und verstehen sie nicht. Laura aber wird weiter schweigen, enttäuscht, entmutigt, verzweifelt. Sie wird sich jedes Mal ein wenig mehr verschließen, wird jedes Mal ein wenig mehr sterben, bis schließlich der Tod auch ihre Augen erreicht haben wird.

/ 2003

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