GRÃœNZEUG
Erzählung
Autoren: Andreas Renoldner
Salzburg,
2012
"Das Grünzeug ist in ununterbrochenem Kampf verstrickt, der vollkommen lautlos und wie in Zeitlupe vor sich geht. Lichtkonkurrenz", sagt Herr Max. "Ununterbrochen und überall. Sie stehlen sich gegenseitig das Licht. Wer schneller wächst, gewinnt. Eine gnadenloser Kampf, in dem sich die Ranke noch auf ihr Opfer stützt. Sie verwenden ihre Opfer. Treten ihnen sozusagen auf die Köpfe, um über sie hinauszuschießen. Auf sich selbst gestellt würden sie bloß am Boden kriechen. Ich mag sie nicht!", sagt Herr Max.
"Ihr Schatten aber gefällt Ihnen! Obwohl unter Bäumen nicht immer gut sitzen ist. Manchmal bricht ein Ast, als wollte sich der Wald gegen ein Betreten wehren", sage ich und knacke den Verschluss der Aludose mit dem Milchkaffee.
Herr Max winkt ab. Ein gebrochener Ast ist etwas vollkommen anderes. Das ist bloß so, als fiele ein Stein aus einer Felswand. Er aber unterstellt dem Grünzeug beharrliche Bosheit. Unerbittlich und stur. Sie rücken einfach vor, machen die Lücken enger und enger, wenn es heuer nicht gelingt, dann nächstes Jahr. Was vor ihnen liegt oder steht wird überwuchert. Bis den anderen im Schatten die Luft ausgeht.
"Und was ist mit dem Schönen? Dem Roten und dem Blauen? Weil doch die Blumen blühen und duften! Wie prächtig die Obstbäume in der Blüte, die Ziersträucher, die Bergwiesen."
Die meisten sondern pausenlos irgendwelche Duftstoffe ab, ungefragt. Keine Ahnung, was die enthalten, sicher aber da und dort auch süßes Gift. Macht dich benebelt. Manche morden sogar. Paris quadrifolia macht tödliche Nierenschäden. Brugmansia bringt Tod durch Herzversagen. Atropa belladonna macht Schüttelkrämpfe bis in den Tod. Digitalis purpurea: Herzrhythmusstörungen. Taxus baccata: Atemlähmung.
"Das ist nur ein kleiner Einblick in ihre Welt!", stellt Herr Max fest, beugt sich nach vorne, erhebt sich langsam und schwebt davon wie ein Samenfallschirm vom Löwenzahn, Taraxacum ruderalia, bei lauem Wind. Im Davongehen hebt sich seine Rechte und winkt blättergleich. Ich höre ihn etwas von Essenszeit sagen mit dem Ächzen einer alten Weide.
/ 2012
Verlag: SALZ - Zeitschrift für Literatur, Salzburg, 2012