....Am nächsten Nachmittag war Frau Franzi wieder im Dienst, und es schien mir, als ginge sie mir aus dem Weg. Wenn sie es so wollte?
Nach dem Ruhebad versuchte ich, zu schlafen. Es wollte mir nicht gelingen. Ich hatte mich bereits an die Bäder gewöhnt und war lange nicht mehr so müde danach wie zu Beginn meiner Kur. Ich lag mit geschlossenen Augen und entspannte mich beim Horchen auf die sich stets wiederholenden Geräusche, deren Monotonie etwas ungemein Beruhigendes hatte. Ich empfand sie als wohltuende Kulisse, in der ich meinen Gedanken nachhing. Welche Träume hatte eigentlich ich? Hätte mich jemand danach gefragt, ich hätte keine Antwort gewußt. Ich träumte zumeist nur mit der Feder in der Hand oder vor der Schreibmaschine, und dann waren es stets die Träume und Gedanken anderer, die mich beschäftigten, aber immerhin von Gestalten, die ich träumte.
Ich fühlte, wie ich lächelte. Also hatte auch ich meine Träume. Vielleicht kann wirklich keiner ohne seine Träume leben. Wenn sie nicht die ihren hätte, würde vielleicht selbst die starke, tüchtige Frau Franzi unter der Last ihres Schicksals zusammenbrechen.
Aber nein, ich sollte mich geirrt haben.
Ich müsse wissen, erklärte sie mir ein anderes Mal, daß sie mit ihrem Leben sehr zufrieden sei. Sie sei schon längst nicht mehr Arbeiterin, sondern Angestellte. Zehn Jahre habe sie noch, dann gehe sie in Pension. Sie liebe ihre Arbeit, die im Vergleich mit dem, was sie in ihrer Jugend habe leisten müssen, viel leichter sei, von der Schinderei auf dem Bergbauernhof gar nicht zu reden. Und was sie besonders an ihrem Beruf schätze, sei der Kontakt mit Menschen, der ihr das Alleinsein im Privatleben erleichtere, ja, ihr das Alleinsein sogar angenehm mache. Sie tue ihre Pflichten gern, denn sie würde nie ihren Posten aufs Spiel setzen, einen Posten, der ihr Sicherheit gebe, denn sie brauche sicheren Tritt für ihre Füße. Danebengestiegen sei sie nur ein einziges Mal in ihrem Leben, aus dem sie doch etwas Rechtes gemacht habe, sie allein, aus eigener Kraft. Was hätte sie denn sonst werden können? Ohne Lehre, blutjung, mit einem Kind, und in einem fremden Land? Durch Lesen allein bekäme man keinen Beruf. So sei sie eben eine angelernte Kraft geworden. Man sei mit ihr zufrieden, und sie sei es auch. Ja, sie könne das nur immer wiederholen...
Ausschnitt aus der Erzählung "Franzi" / 1987