Damals stellte ich mir unsere Familie gerne als eine wild zusammengewürfelte Reisegesellschaft vor, deren Dampfer auf halbem Weg durch den Pazifik vor irgendeiner winzigen Insel auf Grund gelaufen war, und die nun für den Rest ihres Lebens zusammenbleiben mußte, ob sie wollte oder nicht.
Wann immer ich einem von diesen Leuten auf dem Flur begegnete, erntete ich Blicke, als hätte ich gerade eben auf den Teppich gepinkelt. Vielleicht lag das ja daran, daß wir ein so riesengroßes Haus bewohnten. »In einem so großen Haus«, sagte mein Großvater gerne, »kann man sich schon mal selber verlieren, und dann braucht es Tage, ehe man sich wieder über den Weg läuft!«
Wenn ich bei Tisch mit den Einnahmen aus meinem Reisiggeschäft auftrumpfen wollte, brachte sie das zum Lachen. Wenn ich weinte, schauten sie schnell woanders hin, als hätten sie etwas Wichtiges vergessen.
Sie selbst weinten nie. Weder mein Vater, noch meine Mutter, noch Tom, noch eine meiner Schwestern. Keiner von ihnen. In den zwölf Jahren, die ich zählte, hatte ich nicht einen von ihnen auch nur eine einzige Träne vergießen sehen. Mein Großvater meinte, sie seien eben allesamt »Riesenhosenscheißer«. Denn sie hätten Angst davor, sich die kleinen Dinge zu Herzen zu nehmen. »Wer bei den kleinen Dingen keine richtige Träne zustande bringt, hat´ s schon verlernt, ehe die großen überhaupt an der Reihe sind!«
Die „kleinen Dinge“, das war meistens dann, wenn eines von den Geschäften nicht klappte, mit denen mein Großvater sich so die Zeit vertrieb. Nachdem die Fabrik meines Großvaters pleite gemacht hatte, war er nicht wieder zur Arbeit gegangen. Aber er hatte nie aufgehört, Geschäfte zu machen – auch wenn die meisten von ihnen am Ende schief gingen. Dann hing er schlapp in seinem Sessel und ließ sich von meiner Großmutter trösten, und die Tränen rannen ihm wie Sturzbäche über die Backen. Am Tag darauf hatte er die ganze Sache vergessen.
/ 2001