Publikationen-Suche:

Charlottes Traum

Roman für Jugendliche

Autoren: Gabi Kreslehner
Verlag: Beltz & Gelberg, Weinheim, 2009
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

Kein Foto vorhanden

Textproben:

Ich wohne hier nicht mehr. Scheiße, ja, ich wohne hier nicht mehr, und wer was anderes sagt, der lügt! Aber es sagt ohnehin keiner was anderes, weil’s nichts anderes zu sagen gibt. Es ist einfach so, dass ich nicht mehr hier wohne. Manchmal komme ich noch hierher, zu unserem Haus, zu unserem Garten. Wenn die Springer mich sieht, dann winkt sie mir zu, aber nur zaghaft und vorsichtig und ganz klein. Die Springer wohnt jetzt da, mit ihrem Mann und ihrem Kind, und wahrscheinlich hat sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ganz genau weiß, dass eigentlich ich da drin wohnen müsste. Sie ist übrigens eine ziemlich schöne Frau, eine, die manch einer gerne als Mutter hätte, zum Herzeigen an Elternsprechtagen, dass es allen die Mäuler zuklappt, eine so zart und blond wie ein hell gebackenes Flaumtörtchen aus einer ganz teuren Konditorei. Meine Mutter ist ja eher wie ein Germteig, auch nix Schlechtes, aber halt nur ein Germteig und so einen kriegst du in jedem BILLA. Also, unser Haus. Jetzt sind die Springer da und er kann mich nicht leiden und hat mich schon ein paarmal fort gescheucht wie einen räudigen Hund oder eine zeckige Katze. »Geh uns nicht auf die Nerven! Komm nicht dauernd hierher! Schau, dass du nach Hause kommst! Hier wohnst du nicht mehr!« Und puterrot wurde er und dick wie ein Gummiball, und ich hab ihn angeschaut und gehofft, dass er zerspringt, der Springer. Aber er ist nicht zersprungen, der Sprunger. Er hat seine Hand gehoben und ist heran zu mir, und da hab ich geschaut, dass ich weiterkomme. Außerdem hat er recht, der Springer-Sprunger, ich wohne hier nicht mehr. Und wo er recht hat, hat er recht und seine Schuld ist es ja nicht. Ich bin übrigens Charlotte und alles begann vor einem guten Jahr. Wir hatten eine Terrasse am Haus und Mama hatte einen Bikini, goldgelb und glänzend, und wir hatten einen Nachbarn, den Melchior, und dieser Bikini an Mama auf unserer Terrasse hatte auf diesen Melchior eine sehr spezielle Wirkung. Er ließ den Melchior hochgehen. Wie eine Rakete. Man konnte die Uhr danach stellen. Kaum lag sie da hingefläzt in ihrer goldgelben Bikiniherrlichkeit, da stand er auch schon da. An ihrer Liege. Säuselnd. Ob sie keinen Durst habe. Und er hätte drüben und sie solle doch und der Pool, so neu und ob man nicht und sie würde ihn sooooo glücklich machen. »Silvia! Komm! Sei mein Engel!«

Textprobe aus "Charlottes Traum" / 2009

Zurück