BRUDER ANGST, SCHWESTER TOD
I
bruder kommt und legt mir die klaue auf die schulter./
vor mir im spiegel seh ich mich grau und klein/
vor bruders schweineschädel. wie spitz seine/
schneidezähne sind, wie sonnengelb vereitert/
sein gütiges einziges auge./
bruder ist da und die tage werden kürzer./
die nächte auch. draußen stehn die täglich gemeuchelten/
aus ihren massengräbern auf und rücken näher. ein ring/
aus schwarzen und weißen leibern steht mir ums haus./
ich geh zur bank und spende und wende mich ab,/
doch es geht nicht. bruder führt mir die toten zu./
was kann ich tun? essen. doch die zornfeder/
kitzelt mich am gaumenzäpfchen. soviel/
verlorene kalorien auf dem tischtuch, schade/
auch ums symbolische weiß. zorn heilt nicht,/
die welt nicht und mich nicht, zorn macht nur/
hunger. besser ist sattsein, sattsein und träumen./
geteert und gefedert hängen die träumchen an ihren/
pfählen. bruder peitscht sie mit seinem/
echsenschwanz, flüssig schwänzelndem feuer/
mit schuppen aus knochenscheiben und scharfem/
schildpatt. da blutet die nacht wie ein schwein./
II
dann lieber wachsein und die liebe als rettung./
liebste ist weiß, meerschaum und kirschblüte/
und pfeift mir eins. liebste fürchtet sich/
vor meiner angst. will tiefschlaf und lustiges/
geträume. und mann beim früstück, der nicht/
schwitzt und zittert und fuchtelt. und sattsein/
danach. - dann lieber den hunger, sag ich,/
die lila lefzen der hyäne vor dem aas,/
an dem der löwe sitzt, sagt der bruder./
schon dreh ich mich um: bruders bauch ein balg,/
aus menschenhäuten zusammengenäht, gefüllt/
mit schädelknochenmehl, an einem seil um die welt/
gezogen, ein ausgestopfter dämon auf seiner rennbahn,/
schleifend im staub, im kreis einer dumpfen geschichte,/
ein falscher hase für feige hunde wie mich./
und ich seh es und fürchte mich zutode.
/ 1997