...Rudolf ist, ob man will oder nicht, ein Kind dieser Gemeinde. Geboren hinter Lagermauern und Stacheldraht, verbringt er sein kurzes Leben vermutlich in unansehnlichen Stofffetzen auf Stroh. Passend dazu heißen seine Eltern Maria und Josef, die Mutter kam vor zwanzig Jahren in Salzburg - Maxglan zur Welt, der Vater, acht Jahre älter, stammt ursprünglich aus Westfalen. Jetzt hausen sie beide in Weyer. Das Sterbebuch weist den Sohn des Paares immerhin als katholisch aus, man darf sich also vorstellen, wie ein Hochwürdiger Herr die Soutane lüpft, als er Anfang April den matschigen, unbefestigten Lagerboden durchquert, um das Baby am Busen seiner Mutter in die Gemeinschaft der Gläubigen aufzunehmen. Vielleicht kommt er im Mai auch wieder, um die fällige letzte Ölung zu spenden, aber vergessen wir nicht, die Priester dieser Gegend verbringen selbst viel Zeit in den Gefängnissen. Vergraben werden die toten Roma aus unerforschlichen Gründen trotz gleicher Wohnanschrift wie die umgebrachten Volksgenossen übrigens nicht auf dem Friedhof von St. Pantaleon, sondern auf jenem des einst unfreiwillig eingemeindeten Nachbarortes Haigermoos. Daß Josef und Maria dazu bewachten Ausgang erhalten, ist eher unwahrscheinlich.
/ 2001