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Der Ritter und das Fledermäuschen

Autoren: Hans-Peter Voglhuber

Gattung: Prosa

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Textproben:

Der Ritter und das Fledermäuschen

ES WAR EINMAL ein Ritter, der schon ein gutes halbes Jahrhundert durchs Leben gestreift war und dabei viele Abenteuer bestanden hatte. Obwohl ihm dabei manches Missgeschick passiert und die eine oder andere Unbill widerfahren war, blieb er stets lebensfroh. Nur Eines fehlte ihm schmerzlich; - die richtige Frau. Nicht, dass es ihm in seinem abenteuerlichen Leben an hübschen Liebchen gefehlt hätte, doch die richtige Frau befand sich nie darunter, auch wenn er manchmal geneigt war, zu glauben, dass er nun endlich die Richtige gefunden hätte. Am Ende stellte sich immer wieder heraus, dass es eben wieder nicht die ganz große Liebe des Lebens gewesen war. Eines Tages fand er in einem Städtchen einen öffentlichen Anschlag, auf dem eine Frau mit launigen Worten einen Mann suchte. Der Ritter war von diesen Worten so angetan, dass er der Fremden umgehend eine Depesche schickte, welche von der Unbekannten genau so rasch mit allerliebsten Worten beantwortet wurde. Sofort spürte der Ritter, dass es sich bei dem weiblichen Wesen um etwas ganz Besonderes handeln musste und so entspann sich ein schriftlicher Wortwechsel, der von Mal zu Mal liebevoller und zärtlicher wurde. Als die liebevollen Briefe nicht mehr ausreichten, beschlossen die beiden Liebenden sich zu treffen. Klopfenden Herzens machte sich der Ritter zu seiner Herzallerliebsten auf. Nach einem langen Ritt durch einen finsteren, dichten Wald erreichte er endlich dessen Rand. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ den Ritter nicht schlecht staunen. Vor ihm erstreckte sich eine weite Ebene mit vielen kleinen Burgen und zuweilen auch kleinen Türmen. Und das Sonderbarste daran war, dass in jeder dieser kleinen Burgen und Türme jeweils nur ein Mann oder eine Frau wohnte. Staunend und mit wild hämmerndem Herzen streifte der Ritter zwischen den Burgen und Türmen hin und her, immer nach seiner Herzallerliebsten Ausschau haltend. Endlich konnten sich die Liebenden überglücklich in die Arme schließen. Und während sie sich herzten und küssten spürten sie eine ganz besondere Liebe, die sie von diesem Augenblick an verband, obwohl sie sich doch eben erst kennengelernt hatten. Nach einem zauberhaften Tag voll von Liebe, Zärtlichkeit und Liebkosungen machte sich der Ritter wieder auf den Heimweg. Von nun an besuchte der Ritter sein Liebchen so oft wie möglich. Der Ritter, dessen liebstes Tier die Fledermaus war, nannte seinen Schatz fortan nur mehr liebevoll „Fledermäuschen“. Die beiden Liebenden verbrachten unvergessliche Augenblicke der Innigkeit und Zärtlichkeit und es begab sich, dass nun auch des Ritters Herzallerliebste ihren Schatz in seinem Zuhause besuchte. Im Laufe der Zeit lernte der Ritter auch Bewohner von anderen Burgen und Türmen kennen und es fiel ihm auf, dass keiner von ihnen jemals seinen Turm oder seine Burg verließ. Sie alle schienen dasselbe zu denken, zu glauben und zu fühlen. Und obwohl sich sein herzallerliebster Schatz größte Mühe gab, bemerkte der Ritter, dass auch sein „Fledermäuschen“ wie alle anderen Bewohner reagierte. Auf manche seiner vielen Fragen antwortete sie nur zögerlich oder gar nicht und manchmal, wenn der Ritter unbewusst etwas für sie Unpassendes sagte, verschloss sie sich wie eine Auster. Bald musste der Ritter erkennen, dass sein „Fledermäuschen“ in einer eigenen, ihm fremden Welt lebte, genau wie alle anderen Bewohner auch. Der Ritter beschloss, seinen Liebling aus dieser Welt der hohlen Phrasen, des Okkultismus und der wirklichkeitsfremden Philosophien zu befreien und seinen Schatz in seine Welt der Freiheit mitzunehmen. „Ach, mein über alles geliebtes Fledermäuschen“, sagte der Ritter eines Tages zu seiner Herzallerliebsten, „komm mit mir in die Freiheit! Lass uns lachen, lieben und das Leben genießen!“ „Aber mein Geliebter“, antwortete die Herzallerliebste verunsichert, „ich bin doch hier frei! Wir können auch hier lachen, uns lieben und das Leben genießen! Da, wo Du lebst, da ist die Welt ja voller Gefahren!“ „Wenn Du mit Gefahren die nicht immer angenehme Wirklichkeit, die vielen Lügen, Intrigen und Betrügereien meinst, so bin ich bestens dagegen gewappnet um uns Beide zu beschützen! Sieh nur her, ich bin bis auf die Zähne mit Liebe, Treue, Ehrlichkeit und Offenheit bewaffnet! Da kann uns das wahre Leben nichts anhaben!“ „Nein, nein!“, erwiderte ängstlich die Herzallerliebste, „Deine Welt ist böse und schlecht! In so einer Welt will ich nicht leben! Sieh doch nur, bei uns ist alles gut. Was wir nicht sehen wollen, das sehen wir nicht, was wir nicht hören wollen, das hören wir nicht, was uns kränkt, das sagen wir nicht und in unseren Burgen und Türmen können wir uns völlig frei bewegen!“ „Aber was ist mit der wahren Freiheit und den Sehnsüchten?“, fragte der Ritter. „Ich habe doch meine Freiheit in meiner Burg!“, antwortete seine Herzallerliebste trotzig, „ und seit Du an meiner Seite bist, habe ich keinerlei Sehnsüchte mehr!“ „Aber diese Deine Welt vergiftet Dich! Komm bitte mit mir, ehe es zu spät ist!“, rief der Ritter besorgniserregt. „Nein, nein!“, rief nun des Ritters Schatz zornig, „wenn mich wer vergiftet, dann bist Du es mit Deiner Welt. Ich will nicht immer gegen Wahrheit und Wirklichkeit kämpfen! Ich will in Ruhe in meiner Burg leben! In meiner Welt werde ich niemals gekränkt, da mache ich alles richtig und niemand macht mir Vorwürfe oder kritisiert mich! Geh Du doch zurück in Deine Welt und lass mich ein für allemal in Ruhe! Ich ertrage Dich nicht mehr!“ „Und unsere wunderbare, einzigartige Liebe?“, stammelte der Ritter verzweifelt, „was ist mit unserer großen Liebe? Unserer Vertrautheit? Unserer Innigkeit? Unserer Zärtlichkeit?“ „Das alles ist für immer vorbei“, flüsterte das „Fledermäuschen“, während ihr große, dicke Tränen über die Wangen kullerten, „ich will und kann nur in meiner Welt leben, mein geliebter Schatz. Geh Du zurück in Deine Welt!“ Zutiefst traurig und enttäuscht kehrte der Ritter heim. Er verstand die Welt nicht mehr, war er doch felsenfest davon überzeugt, dass die große, wahre Liebe alles überstehen könnte und würde. So verlor der Ritter die größte Liebe seines Lebens, ohne dass er um sie kämpfen konnte. UND WENN SIE NICHT GESTORBEN SIND, dann trauern die Beiden noch immer ihrem Glück und ihrer Liebe nach und warten darauf, dass ihnen noch einmal so eine einzigartige, innige, süße Liebe begegnet.

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