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Ich & Ignaz

Autoren: Thomas Seywald
Verlag: Berenkamp Verlag, Kufstein, 2014
Gattung: Prosa | Veröffentlichungstyp: Buch

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Textproben:

Montag, 11. 8. 1965 

„Also so was … schaut nicht so gut aus.“ 
Der junge Carabiniere, der gerade an mir vorüberging, war ein wenig blass um die Nase. Er stürmte ins Freie, die Hand vor dem Mund, anscheinend konnte er mit dem grausigen Bild, dem er gerade entkommen war, nicht wirklich gut umgehen. Ich kann das verstehen, vor allem bei seiner Jugend. Selbst ich alter Hase betrachtete diese Leiche nicht gerade gleichmütig. Mir war zwar nicht schlecht, wie dem Carabiniere, oder hatte mich besonders geekelt, aber gewöhnt habe ich mich in all den Jahren  noch  nicht  daran.  Solch  grausige  Funde  stoßen mich immer aufs Neue ab. Leichen dieser Art waren nicht Usus, sie waren die Ausnahme. Glücklicherweise muss man sagen. Und in diesem Falle war meine Betretenheit auch  noch von einer anderen Quelle gespeist. Doch genau, als mein Blick auf diese Quelle meiner Irritation gefallen war, hörte ich eine Stimme hinter mir:
„Wo ist der Kopf, Commissario Berengo?“
Mein Assistent, Sergente Franz Innerkofler, hatte die saublöde Frage gestellt. Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn durchdringend an:  „Woher zum Teufel  soll  ich  das  wissen?“ Jeder konnte sehen, dass an der  Leiche kein Kopf mehr war. Vermutlich hatte Innerkofler einfach etwas sagen, einfach laut reden wollen, um die beängstigende Stille und auch die bei allen deutlich spürbare Betretenheit zu durchbrechen. Ich weiß schon lange, dass er in solchen Momenten von der Stille überfordert wird, er macht sich wahrscheinlich selber Mut durch solche Äußerungen. Als wäre er ein kühler, abgebrühter Polizist, der er aber niemals war. Als wäre er unsensibel und das alles würde ihn nicht wirklich anfechten.
Die  Spurensicherung  war  schon  seit  Stunden  an  der  Arbeit. Jeder  beschäftigte  sich  mit  etwas  Anderem.  Alle  Ermittler waren in diese neuartigen Ganzkörperanzüge gesteckt und sahen aus wie dem Spanischen Bürgerkrieg entsprungen, nur waren sie nicht tarnfarben, sondern weiß. Die Spurensicherung verwendet diese Schutzanzüge seit dem vorigen Jahr, damit keine fremden Spuren hinterlassen werden können, und alle Beamten haben bei ihrer Arbeit zudem dünne Seidenhandschuhe an. Ich hielt das alles von  Anfang an für übertrieben und  halte es immer noch für aus der Spur geraten. Gute Kriminalistik kommt mit dem Sichtbaren aus, sage ich immer, sie braucht keine neumodischen Techniken. Forensische Psychologie heißt das neue Zauberwort. Na gut, denke ich, wenn es denen in Bozen so wichtig ist, dass sie dafür eine Stelle eingerichtet  haben, dann wird es schon ein Fortschritt sein. Dann sollen sie versuchen etwas herauszufinden, die Herren und Damen Forensiker, ich bleibe der alten Schule treu. Ich halte mich an die Beobachtung und meine Spürnase.
Allerdings bin ich ein Fan von Josef Bell, dem Vorbild für die Romanfigur des Sherlock Holmes. Bell gilt als Ahnherr der Forensik und verließ sich zum Beispiel im Falle des Jack the Ripper ebenfalls - wie ich bei meinen Fällen auch - auf seine Kombinationsgabe. Sollen sie nur nach den im Verborgenen versteckten Beweisen suchen, die Tatortermittler in ihren Strampelhosen. Fingerabdrücke hinterlässt heute ja keiner mehr, davon bin ich überzeugt. Ist das Ende der Daktyloskopie nahe? Schon nach nur einem Jahrhundert scheint sie sinnlos geworden zu sein, und wenn trotzdem einer so blöd ist und mit seinen Fingern eine deutlich lesbare und unwiderlegbare Spur hinterlässt, dann müssen wir Ermittler ihn dennoch erst mit unseren Methoden erwischen, damit ein diesbezüglicher Beweis schlagend wird und das Indiz, mehr ist es ja nicht, auch richtig zugeordnet werden kann.
Ich schaute mich nach Dingen um, die mich interessieren könnten, die mich eventuell weiterbringen würden, denn natürlich ist logisch, dass Täter und Tatort immer in Beziehung zueinander  stehen,  dass Täter immer Spuren an Opfer oder Tatort hinterlassen. Man muss sie nur finden. Selbstverständlich kenne ich die Locard´sche Regel und berücksichtige sie auch, doch ist der Schlüssel zum Ganzen die Auswertung und dazu nötig ist die Kombinationsgabe des Kriminalisten. Ja, so einer bin ich, ein Spürhund.

/ 2014

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